Reduktion des Händlernetzes
Reduktion des Händlernetzes: Eine Frage der Interpretation
9. Januar 2017 agvs-upsa.ch – «Den Autohändlern steht ein Massaker bevor!»: Eine nicht einmal oberflächlich ausgewertete Studie des Wirtschaftsberatungsunternehmens KPMG muss für eine reisserische «Blick»-Schlagzeile herhalten. Trotzdem ist die Studie einen genaueren Blick wert – sie zeigt, wie Führungskräfte bei Herstellern, Zulieferer und Händler den Markt der Zukunft einschätzen.
kro. Die Wirtschaftsprüfer des internationalen Beratungsunternehmens KPMG zeichnen jährlich ein Stimmungsbild der Automobilbranche. Basis ist eine Umfrage bei weltweit knapp 1000 Führungskräften aus der Automobilbranche. Die Studie wurde am 5. Januar publiziert. Die Medien fokussierten sich primär auf einen Aspekt daraus – der von den befragten Führungskräften erwartete Rückgang des Händlernetzes. Sie bastelten daraus eine Schlagzeile, die suggeriert, dass das Ende der Branche kurz bevorstehe: «Anschnallen bitte: Die Autohändler erwarten einen Kahlschlag in ihrer Branche – und zwar schon bald.»
Befragte haben unterschiedliche Erwartungen
Die KPMG-Studie online würde allerdings die nötige Differenzierung zulassen – die Medien hätten sich einfach nur das dafür nötige Interesse und einige Minuten Zeit nehmen müssen. Die knallige Schlagzeile hätte sich dann aber mit einiger Sicherheit nicht mehr legitimieren lassen.
Zuerst einmal muss man das Resultat allein schon aufgrund des Umfrage-Setups relativieren: Befragt wurden Vertreter von Herstellern (242), Zulieferern (201), Technologiefirmen (156), Mobilitätsdienstleistern (91), Händlern (82), Finanzdienstleistern (49), Energieversorgern und Infrastrukturbetreibern (44) sowie Behördenvertretern (42) in West- und Osteuropa, Indien, China, Nord- und Südamerika. Sie alle haben naturgemäss sowohl fachspezifisch als auch regional geprägt stark unterschiedliche Erwartungen an die Zukunft.
Chinesen sehen den Markt anders als Europäer
Führungskräfte aus China, dessen Automobilmarkt gerade erst erwacht ist, sehen die Entwicklung verständlicherweise aus einer progressiveren Perspektive als ihre Kollegen in den gesättigten Märkten in Westeuropa und den USA. Und Vertreter von Herstellern sehen die Entwicklung aufgrund ihrer Agenda anders als Händler. Wenn Hersteller planen, künftig mehr Autos direkt online zu verkaufen, hat das in ihren Augen einen ungleich grösseren Effekt auf die Anzahl Händlern, als wenn Händler dank ihrer direkten Kundenbeziehung nachvollziehbarerweise davon ausgehen, dass die Fahrzeuge auch in Zukunft über sie verkauft werden.
Der Trick liegt in der Interpretation
Je tiefer man in die Auswertung eintaucht, desto klarer wird: Die Schlagzeile «Mehr als die Hälfte von weltweit rund 1000 Befragten Führungskräften erwartet, dass die Zahl der Autohändler bis 2025 um bis zu 50 Prozent sinken wird» stimmt nur bedingt. In Wirklichkeit sind es 95 Prozent, die glauben, dass die Zahl der Autohändler um bis zu 50 Prozent sinken wird. Dies, weil im Durchschnitt nur fünf Prozent aller Befragten explizit der Ansicht sind, dass sich die Zahl der Händler nicht verändern wird. Der Trick liegt in der Interpretation: Eine Veränderung um bis zu 50 Prozent halten nur zehn Prozent der Befragten für realistisch. Zählt man jetzt die Stimmen zusammen, die eine Veränderung um zehn, zwanzig, dreissig, vierzig und fünfzig Prozent für wahrscheinlich erachten, kommt man selbstverständlich auf eine satte Mehrheit (siehe Tabelle unten).
Genauso gut könnte man jetzt aber jene Stimmen zusammenzählen, die an eine Veränderung um bis zu zehn, zwanzig oder dreissig Prozent glauben, sowie jene, die gar keine Veränderung erwarten. Man könnte mit Recht behaupten: 75 Prozent halten es für wahrscheinlich, dass die die Zahl der Händler kaum oder um maximal ein Drittel zurückgeht. Diese Schlagzeile wäre dann natürlich nicht mehr so knackig.
(Lesebeispiel: 10 Prozent der befragten Vertreter von Herstellern gaben an, dass sie einen Rückgang des Händlernetzes um bis zu 50 Prozent bis 2025 erwarten).
Zusätzlich relativiert wird die Aussage durch die Anzahl der Aussagen: Wenn zehn Prozent der Herstellervertreter sagen, das Händlernetz werde sich bis 2025 um 50 Prozent verkleinern, dann sind das 24 Personen. 21 Personen im selben Kreis glauben jedoch, dass die Zahl der Händler gleichbleiben wird. Und egal, ob das nun 24 Personen oder nur 21 Personen sind: Die Aussage hat keinerlei repräsentativen Charakter.
Händler sind pessimistischer als Hersteller
Bemerkenswert jedoch ist, dass die in der Studie befragten Händler ihre künftige Situation deutlich pessimistischer beurteilen als es die Hersteller tun: Während neun Prozent der Hersteller der Überzeugung sind, dass sich die Zahl der Händlerstützpunkte nicht verändern wird, sind nur fünf Prozent der Händler derselben Meinung. Sogar die aggressiven Technologiefirmen schätzen die künftige Situation der Händler positiver ein als diese selber. Das sollte zu denken geben…
9. Januar 2017, agvs-upsa.ch – Besonders über die «schludrige» Berichterstattung geärgert hat man sich in der Geschäftsleitung des AGVS in Bern. Nach einer unseriösen Geschichte über das Autogewerbe vor ein paar Wochen sieht man sich erneut mit einer konfrontiert.
Herr Wernli, als Sie kurz vor dem Wochenende die Schlagzeile «Den Autohändlern steht ein Massaker bevor» gesehen haben – was ging Ihnen da durch den Kopf?
Urs Wernli: Ich habe mich masslos geärgert.
Die Geschichte korrespondiert nicht mit der Realität?
Die künftige Entwicklung des Autogewerbes ist das eine, seriöse Arbeit zu leisten das andere. Hätte man auch nur ein paar Minuten in die Auswertung der Studie investiert, könnte man eine solch brutale Schlagzeile nicht machen. So etwas unkommentiert zu publizieren, ist im Grunde genommen ein Schlag ins Gesicht für die ganze Branche. Man schürt Verwirrung und Angst. Ich halte das für unverantwortlich.
Dass es Veränderungen in Bezug auf das Händlernetz geben wird, ist aber unbestritten…
Das wird unvermeidlich sein, allein schon durch die laufende Entwicklung hin zu grösseren Stützpunkten. Auf der anderen Seite nimmt die Bevölkerung weiter zu, die Anzahl Zweitwagen ebenfalls, das heisst, dass auf absehbare Zeit sicher nicht weniger Autos verkauft werden.
Das Auto als Statussymbol wird weiter an Wert verlieren?
Zwangsläufig. Auch das zeigt die Studie. 55 Prozent der Befragten wären offensichtlich bereit, auf ein eigenes Fahrzeug zu verzichten, wenn es mehr und bessere Sharing-Möglichkeiten gäbe. Deswegen hier jetzt alles infrage zu stellen und nur noch schwarz zu sehen, ist aber komplett unverhältnismässig. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil gemeinsam genutzte Fahrzeuge stärker beansprucht werden, was wiederum direkte Auswirkungen auf die Wartungsintensität hat.
kro. Die Wirtschaftsprüfer des internationalen Beratungsunternehmens KPMG zeichnen jährlich ein Stimmungsbild der Automobilbranche. Basis ist eine Umfrage bei weltweit knapp 1000 Führungskräften aus der Automobilbranche. Die Studie wurde am 5. Januar publiziert. Die Medien fokussierten sich primär auf einen Aspekt daraus – der von den befragten Führungskräften erwartete Rückgang des Händlernetzes. Sie bastelten daraus eine Schlagzeile, die suggeriert, dass das Ende der Branche kurz bevorstehe: «Anschnallen bitte: Die Autohändler erwarten einen Kahlschlag in ihrer Branche – und zwar schon bald.»
Befragte haben unterschiedliche Erwartungen
Die KPMG-Studie online würde allerdings die nötige Differenzierung zulassen – die Medien hätten sich einfach nur das dafür nötige Interesse und einige Minuten Zeit nehmen müssen. Die knallige Schlagzeile hätte sich dann aber mit einiger Sicherheit nicht mehr legitimieren lassen.
Zuerst einmal muss man das Resultat allein schon aufgrund des Umfrage-Setups relativieren: Befragt wurden Vertreter von Herstellern (242), Zulieferern (201), Technologiefirmen (156), Mobilitätsdienstleistern (91), Händlern (82), Finanzdienstleistern (49), Energieversorgern und Infrastrukturbetreibern (44) sowie Behördenvertretern (42) in West- und Osteuropa, Indien, China, Nord- und Südamerika. Sie alle haben naturgemäss sowohl fachspezifisch als auch regional geprägt stark unterschiedliche Erwartungen an die Zukunft.
Chinesen sehen den Markt anders als Europäer
Führungskräfte aus China, dessen Automobilmarkt gerade erst erwacht ist, sehen die Entwicklung verständlicherweise aus einer progressiveren Perspektive als ihre Kollegen in den gesättigten Märkten in Westeuropa und den USA. Und Vertreter von Herstellern sehen die Entwicklung aufgrund ihrer Agenda anders als Händler. Wenn Hersteller planen, künftig mehr Autos direkt online zu verkaufen, hat das in ihren Augen einen ungleich grösseren Effekt auf die Anzahl Händlern, als wenn Händler dank ihrer direkten Kundenbeziehung nachvollziehbarerweise davon ausgehen, dass die Fahrzeuge auch in Zukunft über sie verkauft werden.
Der Trick liegt in der Interpretation
Je tiefer man in die Auswertung eintaucht, desto klarer wird: Die Schlagzeile «Mehr als die Hälfte von weltweit rund 1000 Befragten Führungskräften erwartet, dass die Zahl der Autohändler bis 2025 um bis zu 50 Prozent sinken wird» stimmt nur bedingt. In Wirklichkeit sind es 95 Prozent, die glauben, dass die Zahl der Autohändler um bis zu 50 Prozent sinken wird. Dies, weil im Durchschnitt nur fünf Prozent aller Befragten explizit der Ansicht sind, dass sich die Zahl der Händler nicht verändern wird. Der Trick liegt in der Interpretation: Eine Veränderung um bis zu 50 Prozent halten nur zehn Prozent der Befragten für realistisch. Zählt man jetzt die Stimmen zusammen, die eine Veränderung um zehn, zwanzig, dreissig, vierzig und fünfzig Prozent für wahrscheinlich erachten, kommt man selbstverständlich auf eine satte Mehrheit (siehe Tabelle unten).
Genauso gut könnte man jetzt aber jene Stimmen zusammenzählen, die an eine Veränderung um bis zu zehn, zwanzig oder dreissig Prozent glauben, sowie jene, die gar keine Veränderung erwarten. Man könnte mit Recht behaupten: 75 Prozent halten es für wahrscheinlich, dass die die Zahl der Händler kaum oder um maximal ein Drittel zurückgeht. Diese Schlagzeile wäre dann natürlich nicht mehr so knackig.
Erwartung an Rückgang des Händlernetzes um | ||||||
50% | 40% | 30% | 20% | 10% | bleibt unverändert | |
Hersteller | 10% | 8% | 30% | 34% | 9% | 9% |
Zulieferer | 9% | 10% | 32% | 31% | 12% | 4% |
Technologiefirmen | 16% | 18% | 31% | 21% | 8% | 8% |
Mobilitätsdienstleister | 15% | 14% | 41% | 19% | 9% | 2% |
Händler | 9% | 18% | 21% | 37% | 11% | 5% |
Regierungen | 5% | 14% | 45% | 26% | 7% | 2% |
Durchschnitt | 10% | 13% | 33% | 28% | 9% | 5% |
(Lesebeispiel: 10 Prozent der befragten Vertreter von Herstellern gaben an, dass sie einen Rückgang des Händlernetzes um bis zu 50 Prozent bis 2025 erwarten).
Zusätzlich relativiert wird die Aussage durch die Anzahl der Aussagen: Wenn zehn Prozent der Herstellervertreter sagen, das Händlernetz werde sich bis 2025 um 50 Prozent verkleinern, dann sind das 24 Personen. 21 Personen im selben Kreis glauben jedoch, dass die Zahl der Händler gleichbleiben wird. Und egal, ob das nun 24 Personen oder nur 21 Personen sind: Die Aussage hat keinerlei repräsentativen Charakter.
Händler sind pessimistischer als Hersteller
Bemerkenswert jedoch ist, dass die in der Studie befragten Händler ihre künftige Situation deutlich pessimistischer beurteilen als es die Hersteller tun: Während neun Prozent der Hersteller der Überzeugung sind, dass sich die Zahl der Händlerstützpunkte nicht verändern wird, sind nur fünf Prozent der Händler derselben Meinung. Sogar die aggressiven Technologiefirmen schätzen die künftige Situation der Händler positiver ein als diese selber. Das sollte zu denken geben…
«Ich habe mich masslos geärgert»
9. Januar 2017, agvs-upsa.ch – Besonders über die «schludrige» Berichterstattung geärgert hat man sich in der Geschäftsleitung des AGVS in Bern. Nach einer unseriösen Geschichte über das Autogewerbe vor ein paar Wochen sieht man sich erneut mit einer konfrontiert.
Herr Wernli, als Sie kurz vor dem Wochenende die Schlagzeile «Den Autohändlern steht ein Massaker bevor» gesehen haben – was ging Ihnen da durch den Kopf?
Urs Wernli: Ich habe mich masslos geärgert.
Die Geschichte korrespondiert nicht mit der Realität?
Die künftige Entwicklung des Autogewerbes ist das eine, seriöse Arbeit zu leisten das andere. Hätte man auch nur ein paar Minuten in die Auswertung der Studie investiert, könnte man eine solch brutale Schlagzeile nicht machen. So etwas unkommentiert zu publizieren, ist im Grunde genommen ein Schlag ins Gesicht für die ganze Branche. Man schürt Verwirrung und Angst. Ich halte das für unverantwortlich.
Dass es Veränderungen in Bezug auf das Händlernetz geben wird, ist aber unbestritten…
Das wird unvermeidlich sein, allein schon durch die laufende Entwicklung hin zu grösseren Stützpunkten. Auf der anderen Seite nimmt die Bevölkerung weiter zu, die Anzahl Zweitwagen ebenfalls, das heisst, dass auf absehbare Zeit sicher nicht weniger Autos verkauft werden.
Das Auto als Statussymbol wird weiter an Wert verlieren?
Zwangsläufig. Auch das zeigt die Studie. 55 Prozent der Befragten wären offensichtlich bereit, auf ein eigenes Fahrzeug zu verzichten, wenn es mehr und bessere Sharing-Möglichkeiten gäbe. Deswegen hier jetzt alles infrage zu stellen und nur noch schwarz zu sehen, ist aber komplett unverhältnismässig. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil gemeinsam genutzte Fahrzeuge stärker beansprucht werden, was wiederum direkte Auswirkungen auf die Wartungsintensität hat.