20-Minuten-Artikel
Es gibt gar keine verbindliche Definition für «Neuwagen»
7. März 2022 agvs-upsa.ch – «Garagen tricksen bei Neuwagen und verkaufen alte Autos als Neuware»: Wer vergangene Woche auf 20Minuten.ch gesurft hat, bekam in einem Artikel den Eindruck, dass im Schweizer Autogewerbe eine Praxis herrscht, die es anzuprangern gilt. Dem ist nicht so.
Insgesamt 80 Angebote von Händlern auf der Webseite von Autoscout24 wurden vom «Saldo-Journalisten» überprüft. Foto: AGVS-Medien.
Basis für die Story auf dem Onlineportal von 20 Minuten ist ein Artikel in der Konsumentenzeitschrift «Saldo». «Saldo hat bemerkt, dass viele Autos als neu im Verkauf stehen, obwohl sie gar nicht neu sind», so die Zeitschrift. Zur Stützung dieser These wird ein ehemaliger Rechtsprofessor namens Heinrich Honsell zitiert, der es als unzulässig beschreibt, Autos als neu oder fabrikneu zu bezeichnen, wenn ihre Produktion mehr als ein Jahr zurückliege.
Auf dieser Basis «kontrollierte» Saldo anschliessend insgesamt 80 Angebote von Händlern auf der Webseite von Autoscout24. Bei 20 davon fand sie Autos, die als neu angepriesen wurden, obwohl ihre Produktion bereits länger als zwölf Monate her ist. Dabei fällt auch das Wort «tricksen». Eine Unterstellung, die insinuiert, dass jemand willentlich und vorsätzlich hinters Licht geführt werden soll.
20 Minuten hat bei AutoScout24 nachgefragt. Maurice Acker, Leiter Geschäftskunden von AutoScout24, bestätigt die These: «Zwölf Monate nach Herstellerdatum gelten Fahrzeuge nicht mehr als neu, sondern als Occasion.» Hätte sich 20 Minuten die Zeit genommen, auch beim AGVS nachzufragen, hätten sie eine ganz andere Antwort erhalten – eine, die der These diametral entgegensteht: «In der Schweiz gibt es, im Gegensatz beispielsweise zu Deutschland, keine einheitliche Definition von Neuwagen», sagt Verbandsjuristin Olivia Solari. Und sie weist darauf hin, dass es einzelne Vorschriften gibt, die Neuwagen im Sinne des entsprechenden Gesetzes definieren:
- In Art. 10 der Energieeffizienzverordnung (EnEV) wird ein Auto als neu bezeichnet, wenn es weniger als 2000 Kilometer Fahrleistung aufweist. In diesem Fall entscheidet die Marke darüber, ob ein Fahrzeug eine Energieetikette benötigt, oder nicht.
- In Art. 17 Abs. 2 der C02-Verordnung gelten Fahrzeuge unabhängig von deren Kilometerstand als Neuwagen, wenn die Erstzulassung im Ausland nicht mehr als sechs Monate vor der Zollanmeldung in der Schweiz stattfand. Diese Regelung bezieht sich auf Erhebung von CO2-Sanktionen.
Es gilt das Vertrauensprinzip
Gemäss Bundesgericht werde laut Olivia Solari beim Autoverkauf an eine Privatperson mit der Bezeichnung «fabrikneu/neu» auf das Vertrauensprinzip abgestellt. «Nach dem Vertrauensprinzip werden Willenserklärungen so ausgelegt, wie sie ihr Empfänger aufgrund der Umstände nach Treu und Glauben verstehen durfte und musste», sagt sie. Somit werde «fabrikneu» so ausgelegt, wie es eine vernünftige und redliche Person verstände und nicht wie es eine Fachperson verstehen würde. «Es gibt folglich keine fixe Alters- oder Kilometerbeschränkung.»
Gemäss Bundesgericht werde laut Olivia Solari beim Autoverkauf an eine Privatperson mit der Bezeichnung «fabrikneu/neu» auf das Vertrauensprinzip abgestellt. «Nach dem Vertrauensprinzip werden Willenserklärungen so ausgelegt, wie sie ihr Empfänger aufgrund der Umstände nach Treu und Glauben verstehen durfte und musste», sagt sie. Somit werde «fabrikneu» so ausgelegt, wie es eine vernünftige und redliche Person verstände und nicht wie es eine Fachperson verstehen würde. «Es gibt folglich keine fixe Alters- oder Kilometerbeschränkung.»
Fazit: Für die Vorführ- und Occasionwagen gibt es keine allgemein verbindliche Regel. Üblicherweise spricht man von einem Occasionfahrzeug ab demjenigen Zeitpunkt, an dem das Fahrzeug eingelöst wurde. «Aber auch diese Abgrenzung», sagt Olivia Solari, «ist nicht allgemeinverbindlich.»