«Jetzt werden wir für die Milchkuh-Initiative kämpfen»
Herr Wernli: Der Bundesrat ist bei der NAF-Vorlage auf keine der Forderungen der Strassenverbände eingegangen. Wie wütend macht das?
Urs Wernli: Das löst Kopfschütteln aus aber kein Wutgefühl. Frau Bundesrätin Leuthard hat es verpasst, zusammen mit den Automobil- und Strassenverkehrsverbänden die künftige Finanzierung der Strassen fair zu gestalten. Ich hoffe nun auf das Parlament; dieses hat es in der Hand, den NAF so zu gestalten dass die Strassengelder vollumfänglich auch der Strasse zukommen.
Damit ist auch klar, dass der Bundesrat die Auseinandersetzung an der Urne sucht. Er pokert?
Nein, der Bundesrat ist der Auffassung, dass sich der Autofahrer weiterhin melken lassen will und ist sich mit der Zustimmung zu FABI (Finanzierung Ausbau Bahn Infrastruktur) da sehr sicher. Die deutliche Ablehnung der Erhöhung des Vignettenpreises durch das Volk zeigte aber, dass es nun genug ist, immer den Strassenbenützern noch mehr Geld für die allgemeine Bundeskasse einzuziehen.
Die Strassenverkehrsverbände setzten jetzt auf die Milchkuh-Initiative. Welche Rolle spielt da der AGVS?
Der AGVS hat die Milchkuhinitiative von allem Anfang vehement unterstützt und grosse Anstrengungen unternommen, die Unterschriften beizubringen. Genauso engagiert werden wir mit unserer sehr breit abgestützten Organisation bei der Abstimmung für ein Ja zur Milchkuhinitiative kämpfen.
Erhöhung des Benzinpreises um – vorerst – 6 Rappen, Beibehaltung der Zweckbindung und keine Verknüpfung mit der Milchkuh-Initiative: Der Bundesrat ignoriert in seiner Vorlage für die Einrichtung des Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF) sämtliche Forderungen der Strassenverbände.
Das Schlimmste zuerst: Die unsägliche Zweckbindung (Quersubventionierung) der Automobilsteuer bleibt. Und auch der befürchtete Aufschlag bei der Mineralölsteuer soll umgesetzt werden – wenn vorerst statt der geplanten 15 «nur» um 6 Rappen, also von heute 30 auf 36 Rappen pro Liter. Hier musste der Bundesrat im Vergleich zur ursprünglichen Version vom Gas gehen – wohl nur, weil die Proteste dagegen einfach zu heftig ausfielen. Weil der Bundesrat keine Mittel auf Vorrat beschaffen wolle, ist zu erwarten, dass die Erhöhung des Benzinpreises 2018 erfolgen wird. Ausserdem weist der Bundesrat alle für sich sprechenden Argumente zurück, die NAF-Vorlage mit den mehr als berechtigten Anliegen der Milchkuh-Initiative zu verknüpfen.
In den NAF fliessen sollen künftig auch die Einnahmen aus der Autobahnvignette (350 Millionen Franken pro Jahr) sowie die Importsteuer auf Autos (knapp 400 Millionen Franken pro Jahr). Effizienzsteigerungen und der vorläufige Verzicht auf bestimmte Bauvorhaben sollen zusätzlich 200 Millionen Franken pro Jahr bringen. Und schliesslich soll ab 2020 auf Elektrofahrzeuge künftig eine Abgabe erfolgen.
auto-schweiz: Milchkuh – jetzt erst recht!
Die Reaktionen der Strassenverbände lassen nicht lange auf sich warten: Der Bundesrat habe die Vernehmlassungsphase zum NAF ungenutzt verstreichen lassen und seinen ursprünglichen Vorschlag nur geringfügig angepasst“, schreibt auto-schweiz in einer ersten Stellungnahme. «Auch mit den kosmetischen Korrekturen am NAF lassen sich die anstehenden Verkehrsprobleme in unserem Land nicht lösen», kommentiert auto-schweiz Direktor Andreas Burgener den Vorschlag des Bundesrates. «Unsere Strasseninfrastruktur ist am Anschlag und muss dringend den heutigen Verkehrsverhältnissen angepasst werden», so Burgener weiter. Das nütze auch den öffentlichen Verkehr, der zu einem grossen Teil auf der Strasse abgewickelt werde. «Deshalb braucht es die Milchkuh-Initiative.» Die Finanzierung des NAF basiere weiterhin auf der vollständigen Zweckbindung der Automobilsteuer und eine an den jeweiligen Bedarf gekoppelte Erhöhung des Mineralölzuschlags. «Das bedeutet: Die Autofahrerinnen und Autofahrer werden in Zukunft noch mehr zur Kasse gebeten», schreibt auto-schweiz.
TCS: «Sehr unbefriedigend»
Der Touring Club der Schweiz (TCS) bezeichnet die Eckwerte der NAF-Vorlage als «sehr unbefriedigend». Anstatt der vom Bundesrat geplanten Erhöhung des Mineralölzuschlags verlangt der TCS eine Erhöhung der zweckgebundenen Strasseneinnahmen: «Diese Massnahme würde genügen, um auf die Erhöhung von 6 Rappen pro Liter Treibstoff zu verzichten.». In Anbetracht der erneuten Querfinanzierung der Schiene durch die Strasse (NEAT und Agglomerationsverkehr) verlangt der TCS als Kompensation, dass ein höherer Anteil der Mineralölsteuern als bisher für Strassenzwecke bestimmt wird und lehnt eine Erhöhung der Mineralölsteuer ab. Ausserdem verlangt der TCS, «dass der jährliche Beitrag an den Agglomerationsverkehr auf maximal CHF 200 Millionen limitiert wird.»
ACS: «Note ungenügend»
Enttäuscht zeigt sich auch der Automobil Club der Schweiz (ACS): Der Bundesrat habe eine Chance vertan, eine nachhaltige Vorlage, die über gute Ansätze verfüge, nach dem Prinzip der gleich langen Spiesse für Strasse und Schiene auszuarbeiten. Der ACS begrüsst zwar die in der aktuellen NAF-Version vorgesehene Umsetzung der Umfahrung Morges und die Glatttalautobahn, die «endlich in das Strassennetz aufgenommen werden.» Eine Erhöhung des Benzinpreises kommt für ihn aber nicht in Frage: «Der ACS hat schon während des letzten Jahres verschiedentlich darauf hingewiesen, dass er nicht bereit ist, eine Erhöhung der Mineralölsteuer und eine weitere Querfinanzierung von der Strasse zur Schiene zu akzeptieren.» Die Botschaft des Bundesrates erhält von ihm deshalb die Note «ungenügend».
Gewerbeverband: Keine Benzinpreiserhöhung!
Der Schweizerische Gewerbeverband (sgv) unterstützt grundsätzlich die Bildung des NAF, um die anstehenden Probleme im Ausbau und Unterhalt des Strassennetzes anzupacken. Doch die vom Bundesrat verabschiedete Botschaft bezeichnet der sgv als «stark verbesserungswürdig». Insbesondere lehnt der sgv «die Belastung der Strasse mit einem höheren Mineralölzuschlag ab.» Die Finanzierung des NAF muss aus Sicht des Gewerbeverbandes «wie von der Milchkuh-Initiative aufgezeigt rasch gelöst werden.»